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Stipendium der Schulministerin für Schüler der 10.Klasse der Heinrich-Heine-Gesamtschule

Aria Khansay aus der 10.Klasse der Heinrich-Heine-Gesamtschule erhält NRW-Stipendium von der Schulministerin in Düsseldorf: Bericht der Aachener Nachrichten vom 4.12.2014

Hilfloser Rebell, Problemkind, NRW-Stipendiat
Von: Carsten Rose, Aachener Nachrichten vom 4. Dezember 2014

Stipendium Aria KhansayEine Urkunde, die stolz und selbstbewusst macht: Aria Khansay ist Stipendiat der Start-Initiative in NRW und auf dem Weg zu seinem Abitur an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Laurensberg. Foto: Carsten Rose

Aachen. Die erste Bewerbung im Leben von Aria Khansay kam beinahe einer Abrechnung mit seiner Kindheit gleich – und das mit gerade einmal 15 Jahren. Aria, einziger Sohn einer afghanischen Migrantenfamilie in Alsdorf, bezeichnete sich als „Rebell“, der seinen Entwicklungsschwierigkeiten getrotzt und aus seinem Fehlverhalten gelernt hatte.

Seine Bewerbung an die Bildungsinitiative „Start“ war erfolgreich: Der einstige Problemschüler ist in diesem Schuljahr NRW-Stipendiat. Ende Oktober wurde er von NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann geehrt.

Diese Auszeichnung erhalten Schüler mit Migrationshintergrund für starkes schulisches und soziales Engagement. Gefördert wird Aria im Rahmen des Stipendiums von der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen mit einem monatlichen Bildungsgeld von 100 Euro. Er darf sich auch bei den Projekten der Stiftung einbringen.

Problemkind

In seinen ersten zehn Lebensjahren deutete wahrlich wenig auf eine solche Ehrung hin. „Ich war asozial und habe viele Probleme bereitet“, sagt Aria heute einsichtig. Sein auffällig unruhiges und aggressives Verhalten zu Hause war nicht der Laune eines heranwachsenden Jungen mit drei Schwestern geschuldet. Aria hatte große Sprachprobleme, er konnte weder vernünftig Deutsch noch beherrschte er die Muttersprache seiner afghanischen Eltern; zwischenzeitlich war er drei Jahre in logopädischer Betreuung. Seine Aggressivität war nichts weniger als sein Begehren nach Aufmerksamkeit, das er verbal nicht ausdrücken konnte. Die Eltern sollten ihn mehr beachten und ihre häufigen Streitigkeiten beenden. Aria war durch dieses enorme Hemmnis zu Grundschulzeiten anfangs sozial isoliert, er hatte keine Freunde. In seiner Klasse zeigte er sich schüchtern und hatte Angst, aufgrund seiner unzureichenden Deutschkenntnisse Hänseleien der Mitschüler ausgesetzt zu sein.

Heute ist Aria, Schüler der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Laurensberg, von jener Unruhe vergangener Tage nichts anzumerken. Der Zehntklässler wirkt nicht nur äußerlich abgeklärt, er selbst macht auch spürbare Veränderungen an sich aus. „Im Gegensatz zu früher kann ich heute mal auf dem Bett liegen und ein Buch lesen“, erzählt Aria.

Unaufgeregt und bedacht, aber ambitioniert geht er seine Ziele an: Aria will 2018 sein Abitur machen und danach in Aachen Maschinenbau studieren. Seine sprachlichen Probleme sind ihm noch anzumerken. Nichtsdestotrotz legt er Wert auf eine gepflegte Ausdrucksweise. Es macht nicht den Eindruck, als würde er imponieren wollen. Vielmehr unterstreicht das seinen Willen, auf mehreren Wegen von seiner schwierigen Kindheit loszukommen.

Ein anderer Weg ist das schulische und soziale Engagement. „Momentan bin ich stellvertretender Schulsprecher“, erzählt Aria, der sich auch an der Initiative „Schule ohne Rassismus“ beteiligt. Für die internationale Förderklasse mit 30 Schülern in Laurensberg möchte er ein Patenschaftsprogramm zur besseren Eingliederung etablieren. Zudem gibt er seinem Cousin aus der vierten sowie seiner Cousine aus der zweiten Klasse jeweils bis zu dreimal die Woche über eineinhalb Stunden Nachhilfe. In der Nachbarschaft hat Aria einem körperlich beeinträchtigten Witwer eine Zeit lang die Einkäufe abgenommen und dessen Hund ausgeführt. Der ehrenamtliche Einsatz aller Art, sagt er, ist für ihn wie ein Hobby.

Aria fand vor fünf Jahren den Weg zur Selbstreflexion. Die Frage: Wie hat er das geschafft? Oder besser: Warum so erstaunlich früh?

Da war der Druck der älteren Geschwister. „Meine Schwestern waren immer der Vergleich – und ich war immer schlechter“, sagt Aria, dessen Schwestern ihn aufgrund seiner schlechten Noten jedoch nicht belächelt haben. Im Gegenteil: Sie haben Aria stets zu mehr Gewissenhaftigkeit aufgefordert und seine Aufgaben kontrolliert. Sie haben ihm auch, so gut es möglich war, mit der Sprache geholfen. Zu seiner 25-jährigen Schwester Diana schaut er unter den dreien am meisten auf. Diana Khansay ist Diplom-Ingenieurin (FH) der Fachrichtung Architektur. „Ich will es irgendwann so weit schaffen wie sie“, sagt Aria beinahe ehrfürchtig.

Der geschwisterliche Einsatz hat Aria vor einer Entwicklung zum ewigen Problembruder bewahrt. Seinem Empfinden nach habe es bei ihm nach dem Tod des 84-jährigen Großvaters mütterlicherseits 2009 endgültig „Klick“ gemacht – danach schickte Aria sich an, ein verantwortungsbewusster und ehrgeiziger Schüler zu werden. „Mein Opa war mein Vorbild, ich habe viele schöne Erinnerungen an ihn. Sein Tod hat mein Leben verändert“, stellt Aria fest. Der 15-jährige hat sich nach dem Verlust des „Lieblingsopas“ mehr auf die Schule konzentriert, er wollte das Familiengefüge nicht weiter zerrütten. Er wollte auch ein besserer Sohn sein.

Es grenzt an die bekannte Ironie des Schicksals, dass Arias größtes Problem die wichtigste Tugend des Großvaters war: die Sprache. Mohammad Akram Ludin war in Afghanistan Dolmetscher auf höchster Ebene. Er vermittelte zwischen Deutschen und keinem geringeren als König Mohammed Sahir Schah, von 1933 bis 1973 Monarch und „Vater der Nation“. Arias Großvater arbeitete darüber hinaus für Mohammed Daoud Khan, der von 1973 bis 1978 der erste und einzige Präsident der von ihm gegründeten damaligen Republik Afghanistan gewesen ist.

Die positiven Erinnerungen an seinen Großvater geben Aria Antrieb. Er will sich durch sein Engagement auch ein positives Ansehen erarbeiten und sich später nur daran messen lassen – nicht an seiner „ersten“ Kindheit, von der er sich so distanziert. Einem Projekt seines Förderers, die Bürgerstiftung Lebensraum, möchte sich Aria besonders zuwenden: Es geht um die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Aachen. „Es fasziniert mich, wie die Bürgerstiftung beim Thema Migration helfen will. Daher möchte ich in dem Projekt unbedingt aktiv mitmachen“, sagt Aria – er kommt dabei fast ins Schwärmen. Dolmetscher für afghanische Flüchtlinge zu sein und generell Flüchtlingen die deutsche Kultur zu zeigen, erzählt Aria, sei ein großer Wunsch.

Für Aria ist es eine Herzensangelegenheit, Menschen zu helfen, die ihre Heimat verlassen mussten. Seine Eltern ereilte dieses Schicksal: Sie flohen – der Vater vor 34, die Mutter vor 28 Jahren – vor den Unruhen in Afghanistan. Sie hatten daher keine Chance, eine Berufsausbildung zu durchlaufen. Arias Vater kam im November 1980 nach Monschau, die afghanische Flüchtlinge galten damals in der Eifel als Exoten.

Joachim Geupel, Vorsitzender der Bürgerstiftung, kennt nur den „jetzigen“ Aria. Interessiert, zugewandt, vernetzungsfähig, kontaktfreudig sei er – diese Charakterzüge waren früher nicht ansatzweise zu erahnen. Es hat den Anschein, als habe er seine schleppende Entwicklung in seiner Kindheit mit großen, positiven Schritten nach dem Tod des Großvaters nicht nur nachgeholt: Heute ist er vielen seiner Altersklasse vielleicht sogar um einiges voraus. „Aria hat eine sehr selbstbewusste Ausstrahlung. Von seinen früheren Problemen ist nichts zu spüren“, sagt Geupel über den Stipendiaten, der beim Hilfsprojekt für die Flüchtlinge „seine Wurzeln“ nutzen könne.

Auf Entdeckungstour

Aria hat seine Persönlichkeitsfindung noch nicht abgeschlossen. Fragen nach Stärken, Schwächen oder Zielen – abgesehen von der beruflichen Zukunft – kann er nicht beantworten. Dafür benötigt er nach eigenen Aussagen „Starthilfe“ – da kommt die Start-Hilfe genau richtig. „Ich bin noch auf Entdeckungstour und versuche, noch viel über mich selbst und meine Interessen zu lernen“, beschreibt er die Zeit als Stipendiat.

Ebenso auffällig wie bemerkenswert ist, dass seine Träume, die er nach langer Überlegung schildert, immer andere einbeziehen: seinen Vater, der die gesamte Verantwortung in der Familie trage. Seine Mutter, die nicht nur an Epilepsie leidet, sondern auch unter Arias schwieriger Kindheit gelitten hat. Aber auch Personen, denen er helfen kann: Menschen, die eine ähnliche Vergangenheit wie seine Eltern erlebten. Menschen, die ähnliche Wurzeln haben wie er – und eventuell ebenso viel Potenzial.

Bericht der Aachener Nachrichten (Lokales, Aachen) vom 4. Dezember 2014. Diesen Zeitungsartikel finden Sie auch online auf dem Internetportal der Aachener Nachrichten.

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